Dienstag, 16. Januar 2018

Durcheinander in Leticia


16. Januar in Leticia

6 Uhr morgens.
Der Blick aus dem Fenster zeigt nichts als ein undurchsichtiges getrübtes Braun. Wasser und Ufer sind verschmolzen mit dem dünnen Regen, der den Vorhang bildet. Am besten bleibe ich im Bett. Was soll das denn heute werden?
Eine Stunde später erkennt man wenigstens das Ufer mit Vegetation, die uns nun schon vertraut ist.
Abbruchkanten, kahle Uferflächen und Sekundärwald bis zum Rand. Im Wasser treiben Äste, viele Baumstämme, Holzbrocken und Undefinierbares.
Wir werden nachher den breiten Strom überqueren, in eine Lagune einbiegen, noch ein ganzes Stück fahren und dann hoffentlich in Letitia sein.



Es hat wohl die ganze Nacht gegossen.
Bei hohem Wasserstand ist der Amazonas hier noch viel breiter als jetzt. Ich kann die Breite nicht abschätzen. Mir kommt es sehr breit vor. 
Es ist unvorstellbar, dass dieser Fluss immer noch so gewaltig ist, obwohl wir nun schon 2500 km vom Mündungsdelta entfernt sind.
Leticia liegt keine 200 m über dem Meeresspiegel im Dreiländereck, das hier von Brasilien, Peru und Kolumbien gebildet wird.
Hier liegt der einzige Zugang Kolumbiens zum Amazonas. Ins Landesinnere muss man fliegen. Eine Straße würde man erst erreichen, wenn man 500 km Regenwald zu Fuß durchquert hat.
Letitia war 1867 ein peruanischer Flusshafen, es gehört erst seit 1922 zu Kolumbien.
Am Ufer sieht man deutlich mehr Besiedlung als zuvor, offenbar hat das Dreiländereck eine große Anziehungskraft.
Bei dem Regen sieht aber alles trostlos aus.

Beim Ausbooten gibt es Probleme. Eigentlich sollen wir um 8.20 losfahren. Schließlich steht ein Ganztagesausflug auf dem Plan. Der Zeitplan gerät völlig durcheinander. Die Schiffsschraube muss gesäubert werden, bevor es weitergeht. Zu viel Gestrüpp hat sich bereits in ihr verfangen. Das Boot wird vor meinem Kabinenfenster hochgezogen, und ich sehe schon, was los ist. Ein Ast hat sich in der linken Schraube festgekeilt.



Und das Theater geht munter weiter.
Wir stehen uns am Anleger in Letitia die Beine in den Bauch.
Es nieselt vor sich hin. Überall sind riesige Pfützen, und unzählige Polizisten stehen herum. Man kann sich nicht von der Gruppe entfernen, um sich ein bißchen umzusehen. Herumspazieren ist nicht angesagt, da ja jederzeit die anderen kommen könnten. Und so richtig verlockend wirkt der Ort auch nicht auf mich.
Wir warten also weiter auf die nächsten Tenderboote, und die lassen weiter auf sich warten.
Zur Abwechslung werden wir an einen Park im Ort gebracht. Dort kann man Seerosen bewundern, die versuchen, es sich im schwimmenden Müll gemütlich zu machen.





Ein Taxifahrer vertreibt sich die Wartezeit mit Daddeln auf dem Handy.


Unser Guide hat nichts weiter zu tun, als uns zu sagen, welche Nummer unser Bus hat. Der Soldat soll uns beschützen.



Mit fast 3 Stunden Verspätung verlassen wir endlich die Stadt. Die wegführende Strasse ist 25 km lang und endet im Urwald. Auf dieser Straße fahren wir, bis wir das Reservat der Huitoto Indianer erreichen.





Eine Völkerwanderung entleert sich voller Erwartungen aus den Bussen. Alle Ausflügler auf einmal zu sehen, ist für mich fast ein Schock. Was müssen sich da die Bewohner denken?
Wer nicht muss, bleibt lieber in seinem Haus. Ein paar Leute sind für die Touristenmassen zuständig, ein paar wenige Kinder lassen sich blicken, und ein alter Mann schlurft grummelnd durch das Gras.




Der große Haufen wird in 2 nicht ganz so große aufgeteilt, und die eine Gruppe wird zuerst in den Wald geschickt. Ich habe das Vergnügen, zuerst die Folklore zu erleben.



Dazu werden wir in das große Versammlungshaus geführt, und es werden diverse Dinge erklärt, die ich akustisch nicht ganz mitkriege. 



Ich habe aber nicht das Gefühl, dass ich etwas versäumt habe. Wir sehen, wie man aus Manjokmehl Fladen backt, können kleingeschnittene Früchte probieren und schauen uns die handwerklichen Arbeiten an, durch deren Verkauf sie Geld verdienen können.




Dann werden 2 oder 3 kurze Tänze  vorgeführt. Gesungen haben überwiegend ein paar Alte, während sich die Jungen ein Kichern nicht immer verkneifen können.





Die Stimmung der Tänze wirkt auf mich melancholisch, fast depressiv. Das Ganze kommt mir vor wie eine magere Show für Touristen. Wenn man den Hintergrund für das scheinbar geringe Engagement der Leute kennt, versteht man sie etwas besser.
Die Huitoto wurden wie viele Indios aus ihren Gebieten vertrieben und vor allem als Kautschuksklaven missbraucht. Mit der Zeit ging das ganze Wissen über die eigene Kultur und deren Rituale verloren. Die Generation der bis zu 50- Jährigen soll keinerlei Erinnerungen und Wissen mehr besessen haben.
Der Staat hat ihnen Land in einem Reservat gegeben und unterstützt sie angeblich teilweise mehr als die anderen Brasilianer, was Mißgunst erzeugt. Die Indios hätten zB Zugang zu besserer Gesundheitsbetreuung.
Diverse Stiftungen und Vereine unterstützen sie bei der Suche nach ihrer Vergangenheit und dem verloren gegangenem Wissen.
Da man damit im Bereich des Tourismus Geld verdienen kann, zeigen sie sich auch zunehmend motiviert, aber es fehlt noch an eigenem Engagement.
Sie haben ihr Land, ihr Häuschen, ihr Motorrad, und damit erlahmen häufig sämtliche weitere Anstrengungen. 



Rita war schon vor mir mit dem Wandern dran. Sie tauscht mit mir die Schuhe. Ich bekomme ihre Gummistiefel, weil man im Wald teils bis zur Wade im Schlamm steckt und im Wasser versinkt. So kann ich wenigstens meine Füße trocken halten.
Wir bekommen einen Stock in die Hand gedrückt und schon glitschen wir über den regennassen Boden los. Unglaublich riesige Pfützen gilt es zu überwinden, und ich Glückspilz kann meistens mit den Stiefeln mittendurch, während den anderen längst das Wasser in die Schuhe gelaufen ist und die Hosenbeine triefen.
Wir passieren ein paar Gärten mit mehr oder weniger versteckten Häusern. Manch einer hat sich sogar schon einen hohen Zaun gebaut.





Andere habe Haus und Grundstück super gepflegt und schützen es mit Pflanzen vor neugierigen Blicken. 







Eine Familie erlaubt den Touristen, ihre Freilufttoilette zu benutzen, die sie ideenreich mit verschiedenen Duschvorhängen vor Einblicken schützen. Zum Glück habe ich noch ein paar Geschenke dabei, die ich zum Dank gleich alle auf einmal hierlasse.



Gleich hinter dem letzten Haus gibt es ein paar Fußwege in den Wald hinein.



Wenn es gerade einmal der schlammige Untergrund zuläßt, den Blick zur Seite zu wenden, entdecke ich ein paar schöne Blüten, wobei einige groß rauskommen, andere sich ganz klein im Gebüsch versteckt sind. Es wächst alles durcheinander, besonders hoch sind die Bäume nicht.






Mit besonderen Tricks schützen sich verschiedene Bäume mit total unterschiedlichen Abwehrstrategien. Die Form und Dichte der spitzen Stacheln ist ganz unterschiedlich.





Eine Gottesanbeterin stellt sich tot und hofft, dass wir sie nicht stören. Sie ist das einzige Tier, das ich auf dieser Tour gesehen habe.


Etwa 90 Minuten gehen wir durch jungen Regenwald, der hier erst etwa 10 Jahre alt ist. Überall da, wo Behausungen sind, kann man davon ausgehen, dass der Baumbestand schon einmal niedergemacht war.
Von hier aus würde ein Einheimischer etwa eine Stunde durch den Sekundärwald laufen müssen, um im Primärwald anzukommen. Touristen wie wir würden dazu etwa 3 Stunden brauchen. Straßen gibt es nicht, und wenn man auf dem Boot ankommt, ist vom Menschen auch wieder die nähere Umgebung vernichtet worden. Das heißt, auch dann müsse man noch laufen. Das alles kann ich aus dem Begleiter herausholen, da er eine kleine Weile neben mir geht.





Leider bleibt bei einer Tour in so einem Gelände nicht viel Zeit, sich die Botanik genauer anzusehen.  Man ist gezwungen, ganz genau auf den Boden zu schauen. Eine Frau ist unvorsichtig und landet haarscharf neben dem Schlammloch.
Die Gruppe ist groß, und lediglich am Anfang und am Ende geht ein Begleiter mit. 2x hat er mir eine Pflanze gezeigt und versucht, sie zu erklären. Weiter sind wir wegen sprachlicher Probleme dann aber nicht gekommen. Er war gut damit beschäftigt, den Weg zu zeigen und zu hoffen, dass alle mitkommen. Einen Überblick hatte man von vorne nicht. Oft eilt er auch weit voraus, ohne sich umzuschauen- siehe Bild unten.



Ich hatte mir diese Wanderung nach der verlockenden Ankündigung total anders vorgestellt.
Bei einer früheren Reise in das Amazonasgebiet von Ecuador wurde uns von einer sachkundigen Führerin ausführlich die sehr interessante Pflanzenwelt so vorgestellt, dass jeder etwas davon mitbekommen hat. Und das war damals kein sündhaft teuerer Extraausflug.
Auch dieser Ausflug heute hatte nur wenig mit dem gemeinsam, was uns angekündigt worden war, damit wir ihn buchen. Also leider war er für mich eine riesengroße Enttäuschung. Es hat uns ja auch bereits am Anfang viel zu viel Zeit gefehlt. Im Grunde genommen hätte er alleine deswegen vom Schiff aus abgeblasen, oder fairerweise mindestens die Hälfte des Geldes zurückgezahlt werden sollen.
Der weitere Zeitplan vom Schiff ist längst genauso durcheinander wie der am Morgen. Erst kurz vor halb 4 treffen wir zum Essen in einem schönen großen Restaurant ein. Um halb 5 wollte unser Schiff eigentlich Letitia und somit Kolumbien schon verlassen, um nach Peru zu fahren.


Die Mahlzeit wird nun blitzschnell serviert. Es gibt gegrillten Fisch mit Reis und anderen Beilagen. Der Grill ist ja groß genug.


Die Zeit reicht gerade noch für einen schnellen Spurt durch den Garten, der das Lokal umgibt und wie ein Botanischer Garten angelegt ist.
Sehr schöne Blüten wachsen üppig wie bei uns nur im Gewächshaus.










Punkt 16 Uhr ist Abfahrt, um kurz darauf am Anleger vergebens Ausschau nach unseren Tenderbooten zu halten. Dann werden wir aufgefordert, in lokale Schnellboote einzusteigen, die hier die Funktion eines Busses haben.
In rasender Fahrt geht es nun zunächst durch die Lagune und dann quer über den breiten Amazonas. Geschickt weicht das Boot immer wieder den Baumstämmen und Ästen aus und zeigt sich dabei erheblich wendiger als ein Tenderboot. 







Die Kinder machen sich einen Spaß daraus, uns zu zeigen, mit welchen Sprüngen sie es ins Wasser schaffen.


Jetzt müssen wir an letzten schwimmenden Baumstämmen vorbei, bevor wir das Schiff, das man in der Mitte hinten entdecken kann, erreichen. Am Himmel ballen sich schon die dunklen Wolken, während unser Schiff noch im Licht schaukelt und uns in sich aufnimmt.






Jetzt sind wir auf dem Weg nach Iquitos. Zum Abschied brennt ein Feuer in Ufernähe.





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